Im gemeinsamen Urlaub in Thailand beschlossen Christian Wendler und Silvio Lange, ihr Geschäftsmodell nachhaltiger auszurichten. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, haben die beiden Unternehmer nun eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Welche Mission ihr Startup freenea nun verfolgt, wie es um Produktionsbedingungen und Beziehungen zum Handel steht und welches Dilemma den tauchenden Unternehmern zu schaffen macht, hat uns Christian im Interview verraten.
Christian, man kennt dich eigentlich als IT-Unternehmer. Derzeit machst du allerdings mit einem ganz anderen Projekt auf dich aufmerksam. Was ist die Geschichte hinter freenea?
Ich bin schon seit Schulzeiten unternehmerisch tätig und war in meinem Leben noch keinen Tag irgendwo angestellt. Normalerweise beschäftige ich mich in meinen Projekten mit Software- und Internet-Themen, aber in meiner Freizeit bin ich leidenschaftlicher Freitaucher, in Deutschland auch unter dem Begriff Apnoetauchen bekannt. Und weil ich nicht anders kann, habe ich vor einigen Jahren freenea gegründet, um unsere kleine Freitauch-Szene mit coolen Shirts und Ausrüstung zu versorgen.
Gibt es bei freenea Mitstreiter, die deine Vision teilen?
Der Kern besteht aus meinem Mitgründer Silvio Lange und mir. Dann haben wir natürlich ein langjähriges Team aus Designern, Content-Editoren, Fotografen und Models. Zudem holen wir uns noch projektweise Verstärkung dazu, so dass die Teamgröße auf bis zu acht Mitstreiter anwächst. Klassische Festangestellte haben wir bei freenea nicht, dafür ist das Business derzeit noch zu volatil und die Anforderungen zu wechselhaft. Agilität ist gefragt. Beim Thema Online Marketing suchen wir übrigens noch jemanden, der sich uns anschließt.
Seit Kurzem läuft eure Crowdfunding-Kampagne “Fight Ocean Trash”. Wie kam es dazu?
Wie für viele andere Wassersportler ist auch für mich die Vermüllung der Ozeane kein neues Thema. Natürlich kannte ich bereits auch virale Videos wie das von dem Gerätetaucher, der sich mit einer GoPro beim Durchtauchen einer Müllwolke filmt. Als ich dann an Weihnachten aber mit Silvio und unseren Familien zum Freitauchen auf der kleinen thailändischen Insel Ko Tao Urlaub gemacht habe und wir uns zum ersten Mal selbst in so einer dichten Suppe aus Plastikmüll wiedergefunden haben, war das ein eindrückliches Erlebnis.
Wie ging es weiter?
Wissen und Fühlen sind halt zwei verschiedene Dinge. Abends saßen wir – ausgerechnet – auf Plastikstühlen in irgendeinem kleinen Thai-Restaurant und haben darüber gesprochen. Schnell war klar, dass die Mission unseres Startups freenea in Zukunft darin bestehen soll, Plastikmüll als Ressource begreifen: ihn aus dem Meer holen, recyclen und daraus neue Produkte herstellen. So entsteht ein System, das nicht von Spenden abhängig ist und technisch auch bereits realisierbar.

Nehmen wir als Beispiel eines der T-Shirts, die ihr anbietet: Wie viel Plastikmüll “fließt” in ein solches Kleidungsstück hinein?
Das hängt natürlich von dem verwendeten Stoff ab, wir haben verschiedene Stärken und Mischgewebe zur Verfügung. Für das erste Shirt haben wir einen atmungsaktiven, leichten Stoff aus 100% Ozeanplastik gewählt, so dass im Durchschnitt etwas mehr als 7 Halbliter-PET-Flaschen für die Produktion eines Funktionsshirts verwendet und dauerhaft aus dem Meer entfernt werden.
Wie kann man sich den Produktionsvorgang der Textilien vorstellen?
In unserem Fall geht es ja nicht um das Greenwashing irgendeiner Konzernmarke, sondern darum, wirklich etwas in Bewegung zu setzen. Also haben wir alle Angebote für Recycling-Fasern aus Fernost abgelehnt und uns stattdessen mit der Initiative SEAQUAL zusammengetan. SEAQUAL verfügt über eine Flotte von über 1400 Fischerbooten an der spanischen Mittelmeerküste und organisiert das Sammeln, Sortieren und Zerkleinern von Plastikmülls aus Fischernetzen. Dieses farblich sortierte PET-Granulat wird zu einer Synthetikfaser verarbeitet, die dann zu einer lizensierten Weberei nahe Barcelona wandert. Dort werden die verschiedenen Stoffvarianten herstellt. Im letzten Produktionsschritt kümmert sich unser Textilproduzent um das Bedrucken, Schneiden und Nähen der T-Shirts.
Das klingt nach einem nachhaltigen Gesamtkonzept.
Die gesamte Fertigung – vom Fischen des Mülls bis hin zum Verpacken des fertigen Produkts – findet in der EU statt. Nichts muss per Frachtschiff um die halbe Welt reisen und wir tun uns im europäischen Rechtsraum leichter, uns mit den Partnern gemeinsam einem Lizenzsystem unterzuordnen, das die Einhaltung von Produktionsstandards wirksam sicherstellt. Tatsächlich hat mir mancher Lieferant aus Fernost angeboten, in WordArt eine schöne Garantieerklärung mit dem Text meiner Wahl zu erstellen. Schrecklich.
Wie gestaltet sich eure Zusammenarbeit mit dem Handel?
In unserer Tauch-Nische haben wir bereits erste bescheidene Erfahrungen mit dem Sport- und Textil-Einzelhandel gemacht. Die Anforderungen an Händlermargen und Vertrieb sind hoch, gleichzeitig erwartet der Handel ein Produkt, das sich quasi von alleine verkauft. Am besten etwas, weshalb der Kunde überhaupt erst zu ihm in den Laden kommt. Hier waren wir anfangs noch so naiv zu glauben, dass doch der Händler der Spezialist für das Verkaufen sei und quasi die Rolle übernimmt, die wir sonst selbst ausüben, wenn wir auf Events oder Messen mit unserem Verkaufsstand sehr erfolgreich unsere Produkte anbieten. Ganz so läuft es dann doch nicht – weshalb wir uns ausschließlich auf Online-Kanäle fokussieren. Den Auftakt und gleichzeitig den Markttest soll das Crowdfunding leisten, später folgen dann der Direktvertrieb und der Aufbau eines Affiliate-Netzwerkes. Alles weitere werden wir sehen.
Gibt es Kooperationen mit Sportlern oder anderen Testimonials?
Naturgemäß sind wir im Tauchumfeld am besten vernetzt und haben von dort auch sehr viel Unterstützung von bekannten Personen und Unternehmen aus der Szene erhalten. Allerdings ist unser Thema sehr und betrifft nicht nur die Tauchbranche. Es ist mindestens relevant für alle Wassersportler, die ein Interesse an einem sauberen Meer haben. Aber eigentlich ist die Zielgruppe noch etwas größer und umfasst all jene, die wir als ‘Ocean Lovers’ bezeichnen. Hier haben wir jedoch noch alle Hände voll zu tun, neue Kontakte zu Influencern und Testimonials aufzubauen. Einige Gespräche laufen im Hintergrund bereits, aber wie das bei Startups so ist: Es gibt sehr viel Interesse, Lob und Wohlwollen, manchmal auch Zusagen. Aber dann eben auch sehr viel abwartende Haltung und Vertröstung.
In der Tat ein Dilemma, das wohl viele Gründer kennen. Welchen Tipp hast du für solche Fälle?
Das ist auch das größte Risiko für uns genauso wie für viele andere Startups, die ich kenne: Eine Art tödliche Umarmung. Der Gründer erhält fast ausnahmslos positives oder sogar begeistertes Feedback, aber trotzdem klemmt es immer dann, wenn es konkret wird und Geld oder geldwerte Leistungen fließen sollen, solange man den Marktbeweis noch nicht erbracht hat. Der Job des Gründers ist es, das zu überwinden. Das erfordert meiner Meinung nach nicht nur Arbeitseinsatz, sondern auch Kreativität und Improvisationsgeschick.