Verena Reuber und Stefan Häfner sind die Gesichter hinter MO14, der ’Innovationsbude’ bei der R+V Versicherung, wie sie ihr Projekt selbst bezeichnen. Seit etwas mehr als zwei Jahren experimentieren die beiden mit dem Einsatz hochautomatisierter, autonomer Kleinbusse. Was das mit Versicherungen zu tun hat, wie man ein Startup im Konzern aufbaut und ob es ein Zurück in den Versicherungsalltag gibt, haben wir bei unserem Besuch in der Wiesbadener R+V-Zentrale herausgefunden.
Alleine der Bewerbungsprozess war für ein Traditionsunternehmen wie die R+V schon ziemlich außergewöhnlich: Genau 100 Wörter hatten die Interessenten, um sich für das neue Innovationsteam zu bewerben, das sich mit den übergeordneten Themen Connected Car und New Mobility auseinandersetzen sollte. Die Personalabteilung wurde regelrecht überrannt, am Ende blieben sechs Auserwählte übrig, unter ihnen Stefan Häfner und Verena Reuber.
Die Vorgaben für das Startup im Konzern waren zunächst nicht besonders konkret. Es gab auf Vorstandsebene zwar vage Vorstellungen – von ein wenig PR über eine App bis hin zu einer erfolgreichen Ausgründung – ein spezielles Ziel wurde aber nicht formuliert. Vielmehr ging es für das Projektteam zunächst darum, ein breit angelegtes Themenspektrum zu erkunden. Relativ schnell war klar, dass sich das Projekt um die vier Megatrends Konnektivität, Autonomes Fahren, Share Economy und Elektromobilitätdrehen sollte.
“Das richtige Gefäß finden”
Tatsächlich hat jeder der vier genannten Trends das Potenzial, in Zukunft versicherungsrelevant zu sein: Konnektivität ist ein Underwriting-Thema, beim Autonomen Fahren geht es um die Frage, wer anstelle des Halters versichert werden soll. Bei der Share Economy müssen Versicherer wiederum eine Vielzahl an Nutzern managen, während bei der Elektromobilität ganz schnell eine Hausratversicherung wichtig werden kann, wenn es beispielsweise im Wohngebiet aufgrund der Vielzahl an Ladestationen Probleme mit dem Stromnetz gibt.
Als diese theoretische Basis stand, fehlte noch das “Gefäß, mit dem diese vier Trends erforscht werden können“, so Stefan Häfner. Die Eingebung hatten er und sein Kollege Marcel Heinz schließlich auf einer Weiterbildung in Berlin, als die beiden auf einem Testgelände das erste Mal mit sogenannten People Movern, autonom fahrenden Kleinbussen, fuhren. „Liebe auf den ersten Blick“, war es laut Häfner, auch Verena Reuber war von der Idee begeistert.
“Chef fand es weniger prickelnd”
Heute besteht die R+V Innovationsabteilung MO14 aus dem People-Mover-Team, also Verena Reuber und Stefan Häfner, sowie den Kollegen Tim Baumeister und Matthias Jung, die eine Truck-Parking-App bauen, um LKWs nachts von den Autobahnzufahrten auf sichere Stellplätze zu lotsen. Marcel Heinz hat MO14 zwischenzeitlich zugunsten eines Masterstudiums verlassen.
Während Reuber viel Ruhe ausstrahlt und die Zusammenhänge sachlich einordnet, ist die Begeisterung bei Häfner in jedem Satz greifbar. Man kann sich daher gut vorstellen, wie er noch am Tag seiner Rückkehr aus Berlin hochmotiviert im Wiesbadener Heimathafen seine Idee pitcht, unter dem Dach der R+V eine autonome Mobilitätslösung für den öffentlichen Nahverkehr entwickeln zu wollen.
“Die Leute fanden es super, unser damaliger Chef fand es weniger prickelnd“, blickt Häfner mit einem Grinsen zurück – er hatte seinen spontanen Auftritt im Heimathafen in Wiesbaden nicht abgesprochen. Doch sowohl die Projektpaten, die MO14 intern von Anfang begleitet haben, als auch die Holding-Vorstände waren von den Ideen des Teams begeistert und gaben grünes Licht zur Umsetzung. MO14, was für den Ursprung des R+V Innovationlabs in der Moritzstraße 14 in Wiesbaden steht, bekam das erste Budget für die nächsten Entwicklungsschritte.
Letzte Zweifler zeigen Einsicht
Zunächst lernten Reuber und Häfner die langwierigen Prozesse der Produktentwicklung kennen. Neben dem Zulassungsverfahren, der Erstellung des Lastenheftes und zahlreichen Tests kostete vor allem der Umbau der Bremsen sehr viel Zeit, sodass der erste People Mover ein Jahr später als geplant in Betrieb ging. Als es dann jedoch im Oktober 2017 soweit war, war das Echo riesig: Zur Pressekonferenz mit dem ersten Kooperationspartner Fraport kamen so viele Journalisten, dass der Flughafenbetreiber all seine Besprechungsräume zusammenlegen musste.
Der vierwöchige Einsatz am Flughafen – zwei Wochen Inbetriebnahme, zwei Wochen Fahrt – bedeutete den Durchbruch für MO14. Auch die letzten Zweifler sahen ein, dass das hauseigene Startup einen echten Bedarf bedient. Bis heute kamen drei weitere Testfelder hinzu, im Marburger Industriepark Behringwerke sowie in Wiesbaden und Mainz im öffentlichen Nahverkehr. Unterstützt wurde jedes Testfeld durch ein wissenschaftliches Forschungsprojekt, um den Einsatz der Busse mit fundierten Erkenntnissen zu untermauern.
“Enabler in der Community”
Auch wenn die R+V ein Budget zur Verfügung gestellt hat, sind Reuber und Häfner auf fremdes Kapital angewiesen. Statt in Investitionsrunden Geld einzusammeln, wie man es von typischen Startups kennt, haben die Projektleiter Kooperationspartner gefunden, mit deren Unterstützung der Einsatz in den jeweiligen Testfeldern überhaupt erst ermöglicht werden konnte. Darunter mittelständische Unternehmen, die ihre eigene Technik mit MO14 vertesten oder Land und Kommunen, die ihren ÖPNV zukunftsfähig machen möchten.
“Wir haben außerdem in der Community etwas bewirkt, auch als Enabler”, berichtet Häfner weiter. So hätten sich über MO14 Partnerschaften Dritter entwickelt, wodurch vor allem das Themenfeld Autonomes Fahren weiterentwickelt wird. Nun steht MO14 vor einem Pivot, um im Gründer-Jargon zu bleiben. Genaueres dürfe man noch nicht sagen, unter anderem soll es aber um weitere Testfelder im R+V-Werksverkehr in Wiesbaden gehen. Speziell hier wird es einen bislang einmaligen, neuen Fokus geben.
“Es hat niemand auf uns gewartet”
Dass Reuber und Häfner sich gut ergänzen, ist offensichtlich. Anders hätten sie MO14 wohl kaum zu zweit stemmen können. Doch auch die Hilfsbereitschaft aus dem Konzern heraus war durchweg groß. Gerade in der Entwicklungsphase war die Unterstützung bei Themen wie Datenschutz oder Vertrieb laut Reuber riesig. “Und das, obwohl wir quasi ‘on-top’ auf das Tagesgeschäft kamen. Gewartet hat nämlich niemand auf uns”, sagt die 33-Jährige rückblickend.
Und auch kulturell hat MO14 einiges im Konzern bewirkt. Neben einer flexiblen Arbeitszeitregelung, die Reuber und Häfner von Beginn an zugesagt wurde, ist das ‘Du’ bei R+V-Veranstaltungen – zumindest subjektiv – deutlich häufiger zu hören. Ob das wohl ausreicht, um das Startup-Feeling noch einmal für den normalen Versicherungsalltag einzutauschen? “Momentan schwer vorstellbar”, ist sich das perfekt eingespielte ‘Gründerteam’ einig.