Hessens KI Vorreiter: KI-Lösungen mit nachhaltigem Impact
Tizian Kernstock (Foto von Hessen Ideen / Mario Andreya), Ansgar Kadura, Jannis Gottwald

In Zusammenarbeit mit AI Startup Rising | hessian.AI und EDITH präsentieren wir jeden Monat aufstrebende KI-Startups aus Hessen und ihre wegweisenden Lösungen. Den Ausgangspunkt bildet die nach Branchen geclusterte „AI Startup Landscape Hessen“. Mit dem Cluster „Space & Environment“ im Fokus stellen wir in diesem Artikel KI-Startups vor, die mit ihren Lösungen einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen leisten.

Ein menschenwürdiges Leben. Frieden und Wohlstand für alle. Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten. Das ist das Leitbild der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für eine bessere Zukunft. 2015 verabschiedete die Weltgemeinschaft dafür 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als globalen Rahmen. Klar ist: Diese ambitionierten Ziele erfordern nicht nur gemeinsames Engagement, sondern auch nachhaltige technologische Innovationen.

Die 17 SDGs der Agenda 2030. Quelle: https://unric.org/de/17ziele/

Das Cluster „Space & Environment“ der AI Startup Landscape Hessen umfasst hessische Startups, die mit Hilfe von KI und Machine Learning konkrete Lösungsansätze zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele entwickeln. Wie diese aussehen können, beleuchten wir anhand der Beispiele von drei der zwölf Startups dieses Clusters: Wingcopter, Gedyte und trackIT Systems.

Wingcopter: Drohnentechnologie, die Leben rettet und den Alltag erleichtert

Seit seiner Gründung 2017 hat Wingcopter buchstäblich einen steilen Höhenflug hingelegt. Als Entwickler, Hersteller und Dienstleister („Drone as a Service“) von unbemannten Lieferdrohnen hat sich das Jungunternehmen mit Sitz in Weiterstadt innerhalb weniger Jahre zu einem der wichtigsten Player im Bereich Drohnentechnologie entwickelt. Inzwischen beschäftigt Wingcopter 150 Mitarbeiter und konnte bereits Investoren, Partner und Projekte auf der ganzen Welt für sich gewinnen.

Wingcopter verfolgt eine klare Vision: „Mit unserer Drohnentechnologie wollen wir Leben retten und den Alltag der Menschen weltweit erleichtern. Deswegen haben wir uns auf die Herstellung von Lieferdrohnen und ihrer ausschließlichen Nutzung zu humanitären und kommerziellen Zwecken spezialisiert“, erklärt Co-Gründer und Chief Strategy Officer Ansgar Kadura. „Diese Vision sowie unser Fokus auf Sicherheit und die Zertifizierung der Drohne als Luftfahrzeug hebt uns von der internationalen Konkurrenz, beispielsweise aus China, ab.“

Wingcopters Vision liegt die Erfahrung von Co-Gründer und CEO Tom Plümmer zugrunde, der während eines Auslandsaufenthalts in Westafrika erlebte, wie schwierig es aufgrund der fehlenden Infrastruktur für die Menschen war, an lebensrettende Medikamente zu kommen. So entstand Wingcopters erstes Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt wurde: Medikamentenlieferungen per Drohne in Tansania. „Mit Hilfe unserer Drohnen gelangten lebenswichtige Medikamente innerhalb kurzer Zeit auf eine Insel im Victoriasee, um die Menschen dort zu versorgen“, erklärt Ansgar, der die ersten Einsätze vor Ort mitbetreute. Ähnliche Projekte folgten, wie in Malawi sowie im südpazifischen Inselstaat Vanuatu: „Viele Menschen leben dort in extrem abgeschiedenen Gebieten. Unsere Drohnen konnten lebenswichtige Impfstoffe innerhalb von 20 Minuten zu ihnen liefern, für deren Transport per Wasser- und Landweg sonst bis zu 30 Stunden gebraucht werden.“

Eine technologische Innovation: Betrieben mit smarten Hot-Swap-Batterien erreicht die High-Perfomance Lieferdrohne Wingcopter 198 eine Reichweite von bis zu 94 Kilometern mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 90 km/h. Dabei sorgen KI-gestützte Systeme für ein hohes Maß an Autonomie und mehrere Motoren, ESCs sowie zwei Batterien für einen sicheren Betrieb. Ein weiterer Vorteil: Die Drohne kann praktisch ohne Infrastruktur starten und landen. Während andere Drohnen Pakete aus der Luft abwerfen oder per Seilwinde ablassen, kann der Wingcopter 198 Lieferungen nicht nur am Boden abgeben, sondern auf dem Rückflug auch wieder Pakete mitnehmen: Drop-off und Pick-up in einem Flug.

Wingcopter 198 im Einsatz in Malawi. ©Wingcopter

Mit seinen Projekten zur medizinischen Versorgung leistet Wingcopter einen wesentlichen Beitrag zum Nachhaltigkeitsziel „Gesundheit und Wohlergehen“ (SDG 3). Auch das Ziel „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ (SDG 11) profitiert von Wingcopters Drohnenlösungen: In Deutschland hat das Startup mit dem Projekt „LieferMichel“ gezeigt, wie seine Drohnen zu kommerziellen Anwendungen genutzt werden können, um Lieferungen auf der letzten Meile nachhaltiger zu machen. Durch effiziente und emissionsfreie Drohnenlieferungen werden zudem die Nachhaltigkeitsziele „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (SDG 13) sowie „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ (SDG 9) adressiert. Wingcopter spricht von „Highways in der Luft“, auf denen Drohnen zukünftig unterwegs sein werden, um den Alltag der Menschen zu erleichtern und Leben zu retten.

Gedyte: Smarte Gewächshäuser für nachhaltigen Gemüseanbau

Gedyte will die Prinzipien der smarten Landwirtschaft, die bisher großen Gewächshäusern vorbehalten waren, in den Hobby- und Kleinanbau-Bereich bringen. Co-Gründer und CEO Tizian Kernstock erklärt: „In landwirtschaftlichen Großbetrieben werden bereits KI-basierte Systeme genutzt, um die Erträge zu optimieren. Wir möchten Hobbygärtnern und Kleinbetrieben ähnliche Lösungen anbieten, denn diese können ebenfalls enorm vom Einsatz künstlicher Intelligenz zur Ertragssteigerung profitieren.“

Tizian studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Darmstadt, wo er sich im Masterstudium auf Entrepreneurship und Innovationsmanagement spezialisierte. „Ich war schon immer von der Schnittstelle zwischen Technologie und Unternehmertum fasziniert. Die Idee zu Gedyte ist entstanden, da ich als Hobbygärtner selbst Gemüse anbaue. Dabei habe ich mich gefragt, warum es derzeit keine smarten Lösungen für kleine Gewächshäuser gibt, die das Wissen und die Technik aus den großen Agrarbetrieben adaptieren.“ Gedyte ist das Ergebnis dieser Leidenschaft.

Zusammen mit Co-Gründer Vincent Hanéhat Tizian eine intelligente Sensorik entwickelt, die die Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Licht und Feuchtigkeit in Echtzeit überwacht. Der Clou liegt in einer kompakten Box, die in jedem Gewächshaus einfach installiert werden kann. Nicht einmal Strom oder ein Internetanschluss werden dafür benötigt. Die erhobenen Daten werden analysiert, um Vorhersagen zu treffen und konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, die den Anwendern über eine App zugänglich gemacht werden. So können die Wachstumsbedingungen optimiert, die Gesundheit der Pflanzen erhalten und die Erträge auf natürliche Weise gesteigert werden. Gleichzeitig wird der Verbrauch von Ressourcen wie Wasser oder Düngemitteln reduziert. „Wir möchten mit unserer Technologie dazu beitragen, dass jeder – vom Hobbygärtner bis zum Kleinbetrieb – erfolgreich und nachhaltig frisches Gemüse anbauen kann, auch ohne Expertenwissen“, erklärt Tizian.

Prototyp der von Gedyte entwickelten Sensorbox ©Gedyte

Gedytes Vision reicht über das private Hobbygärtnern in Deutschland hinaus: Langfristig könnten ihre Systeme in Regionen, in denen extreme Wetterbedingungen herrschen, die lokale Lebensmittelproduktion stärken. „In vielen Regionen in Afrika werden Gewächshäuser immer beliebter, da sie die Pflanzen vor extremer Hitze schützen. Zudem kann im Vergleich zu offenen Agrarflächen bis zu 90 % Wasser eingespart werden. Kombiniert mit unserer Technologie könnten wir die Effizienz der Gewächshäuser weiter steigern und so einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten, gerade in von Hunger und Armut betroffenen Regionen“, sagt Tizian. Damit hat Gedyte das Potenzial, die Nachhaltigkeitsziele „Kein Hunger“ (SDG 2) und „Gesundheit und Wohlergehen“ (SDG 3) zu unterstützen. Die Reduktion des Wasserverbrauchs und die Vermeidung langer Transportwege durch den lokalen Anbau tragen zudem zu SDG 13 („Maßnahmen zum Klimaschutz“) bei.

Das junge Startup befindet sich derzeit in der Gründungsphase, doch seine smarte Technologie und die nachhaltige Mission überzeugen schon jetzt: Gedyte wurde für die Teilnahme am diesjährigen „Ignition Incubator“-Programm von AI Startup Rising| hessian.AI ausgewählt und gehörte zu den 13 Finalisten des Hessen Ideen Wettbewerbs. Aktuell bereiten die Gründer gerade die Bewerbung um ein EXIST-Stipendium vor.

trackIT Systems: Digitale Lösungen für den Artenschutz

Das hessische Startup trackIT Systems aus Cölbe setzt auf Künstliche Intelligenz, um den Artenschutz zu transformieren. „Bis heute erfolgt die Erforschung von Wildtieren fast ausschließlich manuell. Das ist enorm zeitaufwendig, kostenintensiv und mühsam. Unser Ziel ist es, den Artenschutz ins digitale Zeitalter zu überführen. Dafür entwickeln wir Werkzeuge zur automatischen Erfassung von Wildtieren, die das Monitoring effizienter und zugänglicher machen“, sagt Hauptgeschäftsführer Jannis Gottwald, der trackIT Systems zusammen mit Patrick Lampe (Operativer Geschäftsführer) und Jonas Höchst (Technischer Geschäftsführer) gegründet hat.

Die Gründungsidee von trackIT Systems entstand aus Jannis Forschungsarbeiten zur Raumnutzung von Fledermäusen. In der Arbeitsgruppe Umweltinformatik am Fachbereich Geografie der Philipps-Universität Marburg untersuchte er diese mit Hilfe von automatischer Radiotelemetrie. Das Startup arbeitet eng mit Anwendern wie Naturschutzorganisationen und Planungsbüros zusammen, um praxistaugliche Lösungen für Naturschutzprojekte und wissenschaftliche Untersuchungen zu entwickeln. „Es ist enorm wichtig, dass die wissenschaftlichen Lösungen, die an den Hochschulen entwickelt werden, in der Praxis auch zur Anwendung kommen. Aus diesem Grund haben wir trackIT Systems gegründet.“

Neben der automatischen Radiotelemetrie setzt das Startup auf die akustische Erfassung von Tiersignalen: Akustische Sensoren erkennen tierische Geräusche wie die Rufe von Fledermäusen, Vögeln oder Amphibien und analysieren diese in Echtzeit. Die Verarbeitung der Daten erfolgt direkt vor Ort („on the edge“), wodurch die Datenmengen optimiert und die Ergebnisse unmittelbar verfügbar gemacht werden können. „Unsere Technologie funktioniert wie eine Wetterstation für Biodiversität“, erklärt Jannis. „Sie zeichnet kontinuierlich auf, analysiert die Daten und liefert direkte Einblicke in das Geschehen vor Ort.“

Mit Solarstrom versorgte Sensoreinheiten, © trackT Systems

Ein Beispiel für den Einsatz der Technologie ist das Monitoring des Haselhuhns, einer als stark bedroht geltenden Vogelart, die in Hessen seit Jahren auf der roten Liste steht. Bislang waren sich die Naturforschenden uneinig, ob die winzige Huhnart überhaupt noch existiert. Durch ein flächendeckendes Monitoring konnte nun ein umfassendes Bild über den Lebensraum dieser Art erstellt werden. Dazu waren 40 Geräte über den gesamten Sommer hinweg rund um die Uhr im Einsatz. Die Ergebnisse werden derzeit noch von Expert:innen validiert. „Sollte kein Lebenszeichen gefunden werden, wird das dazu führen, dass das Haselhuhn als ausgestorben erklärt wird“, so Jannis.

trackIT Systems Projekte liefern entscheidende Daten für Planungsvorhaben, zum Beispiel von Windkraftanlagen, aber auch als Grundlage für Schutzmaßnahmen, um dem Artensterben aktiv entgegenzuwirken. Zudem können invasive Arten frühzeitig erkannt und die Auswirkungen von Veränderungen bestimmter Ökosysteme besser verstanden werden. Darüber hinaus senken die automatisierten Systeme den personellen Aufwand erheblich – ein Vorteil für viele Naturschutzorganisationen, die oft mit knappen Ressourcen arbeiten.

Mit seinen digitalen Monitoring-Lösungen trägt trackIT Systems direkt zur Erreichung des Nachhaltigkeitsziels Nr. 15 („Leben an Land“) bei. Im November wurde das Startup mit dem Hessischen Gründerpreis in der Kategorie „Gesellschaftliche Wirkung“ ausgezeichnet. „Artenschutz ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit“, sagt Jannis. „Das wird oft vergessen, denn das Artensterben erfolgt schleichend und nahezu unsichtbar. Mit unserer Technologie wollen wir dazu beitragen, den Natur- und Artenschutz nicht nur effizienter, sondern auch sichtbarer zu machen.“

KI-Lösungen für eine nachhaltige Zukunft

Leben retten. Ressourcen schonen. Artenvielfalt schützen. Die hessischen Startups Wingcopter, Gedyte und trackIT Systems sind mehr als bloße Beispiele für technologischen Fortschritt. Sie entwickeln konkrete Lösungen für einige der drängendsten Probleme unserer Zeit durch die Verknüpfung von KI-Technologie und Nachhaltigkeit. Wer weitere hessische Startups kennenlernen möchte, die mit ihren KI-Lösungen eine nachhaltige Wirkung erzielen, dem bietet das „Space & Environment Cluster“ der AI Startup Landscape Hessen 2024 einen umfassenden Überblick.


Diese KI- Landkarte ist eine Initiative des Projekts AI Startup Rising von dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI) und wird in Zusammenarbeit mit bmh, Starthub Hessen/ HTAI, STATION, AI Hub Frankfurt RheinMain, TechQuartier, Highest, Start2, StartMiUp, Science Park Kassel, EXIST sowie EDITH (weiter-) entwickelt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.

Mehr dazu hier. Die Printansicht des Posters ist hier zum download verfügbar.


Über die Artikelreihe

Hier geht es zu weiteren Artikel aus der Artikelreihe „Hessens KI-Vorreiter“ und hier zu weiteren Artikeln mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz.

Die Artikelreihe „Hessens KI-Vorreiter“ zeigt, wie Startups mit KI-Innovationen frischen Wind in die verschiedensten Branchen bringen. Die Reihe orientiert sich am Branchencluster der AI Startup Landscape Hessen. Diese KI- Landkarte ist eine Initiative des Projekts AI Startup Rising von dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI) und wird in Zusammenarbeit mit bmh, Starthub Hessen / HTAI, STATION, AI Hub FFM, Tech Quartier, Highest, Start2, StartMiUp, Science Park Kassel, EXIST sowie EDITH (weiter-) entwickelt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Ansprechperson und Co-Autorin des ersten Artikels: karin.gessler@hessian.ai, AI Startup Rising | hessian.ai

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