ChancenNutzer: “Jeder soll Zugang zur Gründung haben”
Foto: Social Impact Lab

Mit der Initiative ChancenNutzer möchte das Social Impact Lab speziell Gründer und Gründungsinteressierte mit Migrationshintergrund ansprechen. In der Vergangenheit waren unter anderem die Frankfurter Startups Heartbeat und Wow Screens Teil des Inkubators. Kopf hinter dem Programm ist Kristina Hensch, die die Herausforderungen junger Menschen mit Migrationshintergrund aus eigener Erfahrung kennt. Wir haben mit ihr gesprochen. 

Kristina, du bist im Social Impact Lab für ChancenNutzer verantwortlich. Welche Motivation steckt hinter der Initiative?

Zu allererst ist das Social Impact ein Sozialunternehmen, das soziale Innovationen voranbringen möchte. Dazu gehört auch das Thema Inclusive Entrepreneurship. “Inclusive” heißt in diesem Fall, dass allen Menschen Zugang zur Gründung ermöglicht werden soll – unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht, Nationalität, Gesundheitszustand, Lebenssituation, Wohnort und weiteren Merkmalen. Das ist unser langfristiges Ziel. 

Darüber hinaus zeigt beispielsweise der Global Entrepreneurship Monitor, dass Gründer mit Migrationshintergrund besonderen Herausforderungen gegenüber stehen. Sie müssen die institutionellen und kulturspezifischen Regelungen einer Gründung in Deutschland verstehen. Sie stoßen bei Verwaltungen, Kammern, Banken oft auf Vorbehalte und mangelndes Verständnis. Und sie haben es schwerer, an einer Finanzierung für ihr unternehmerisches Vorhaben zu gelangen. Gleichzeitig sehen wir gerade bei den jungen Menschen viel Potenzial – und das wollen wir mit ChancenNutzer fördern.

Du hast selbst einen Migrationshintergrund. Vielleicht kannst du uns kurz deine Geschichte erzählen. 

Ich bin gebürtig aus Kasachstan und mit zehn Jahren gemeinsam mit meiner Familie nach Deutschland gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Allerdings hatte ich dann das Glück, noch einmal in die vierte Klasse einer Grundschule zu gehen, um innerhalb eines Jahres die neue Sprache zu lernen. Man kann sagen, dass ich wieder von vorne angefangen habe. 

Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Zunächst war es nicht einfach, wegen der Sprache. Und dann war da noch die Bürokratie. Schon nach ein paar Monaten in Deutschland habe ich für meine Eltern und Großeltern die Formulare übersetzt und mit ihnen zusammen ihre Deutschkurs-Hausaufgaben gemacht. 

Wie ging es nach der Grundschule weiter?

In der fünften. Klasse kam ich aufs Gymnasium und habe Abitur gemacht. Dann folgten Bachelor in Soziologie und Master in Wirtschaftsgeografie. Nebenher habe ich auf selbstständiger Basis als Beraterin für Finanzprodukte gearbeitet und zahlreiche Praktika gemacht. Im Auslandssemester in England habe ich das Konzept des Sozialunternehmertums kennengelernt. Zurück in Deutschland habe ich dann meine Masterarbeit über Sozialunternehmen geschrieben. 

Wie bist du dann beim Social Impact Lab gelandet?

Durch meine Erfahrungen in einem zusammenbrechenden Land und mit der Migration  beschäftigt mich eigentlich schon immer die Frage nach der Herstellung sozialer Gerechtigkeit innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Systeme. So bin ich bei iq consult, einem Schwesterunternehmen des Social Impact Lab, gelandet und habe an einem Projekt der CSR-Abteilung der Deutschen Bank mitgearbeitet. Es ging darum, so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich dafür zu begeistern, Geflüchtete dabei zu unterstützen, in unserer Gesellschaft anzukommen. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts habe ich dann dann die Leitung von ChancenNutzer übernommen. 

An wen richtet sich ChancenNutzer?

Wir suchen für unser Stipendium Migrantinnen und Migranten in der ersten oder zweiten Generation, die idealerweise nicht älter als 30 Jahre alt sind. Bei Branchen oder bestimmten wirtschaftlichen Merkmalen gibt es keine Präferenzen oder Schwerpunkte. 

Wir wissen auch, dass es Gründungswillige gibt, die aber noch keine konkrete Idee haben. Für solche Fälle haben wir den sogenannten Orientation Track in unser Konzept orientiert. Also: Alle, die über eine Gründung nachdenken, sollten sich trauen und eine Bewerbung abschicken! 

Welche Vorteile haben Startups und Gründungsinteressierte als Teil von ChancenNutzer?

Als Stipendiat von ChancenNutzer profitiert man insgesamt bis zu zehn Monate lang von individuellem Coaching, Workshops zu Gründungsthemen, Experten-Beratungen zu Themen wie Recht und Steuern, Gruppencoachings, einem kostenfreien Arbeitsplatz und natürlich dem Zugang zu unserer Lab-Community. Aus Erfahrung wissen wir: Gründerinnen und Gründer brauchen Austausch und Begleitung, um motiviert zu bleiben und erfolgreich zu sein. Genau das wollen wir ihnen geben. Das Programm ist komplett kostenfrei. 

Warum ist eure Initiative speziell für unser regionales Ökosystem wichtig?

Im Social Impact Lab und besonders bei ChancenNutzer bringen wir mehrere Dinge zusammen: Wir fördern den Innovationsstandort Frankfurt, setzen dank unserer besonderen Community neue Impulse und sind gerade im Rhein-Main-Gebiet ein Gegenpol zur Berliner Gründerszene. Mit unserem Fokus auf Migrantinnen und Migranten tragen wir zur Integration in Deutschland bei und unterstützen junge Menschen, indem wir ihnen kostenfrei Gründerwissen vermitteln. Außerdem ist Mietraum gerade in Frankfurt sehr teuer. Hier können wir mit unseren kostenlosen Räumlichkeiten dazu beitragen, dass Startups die Vorgründungsphase mit geringeren Kosten besser überstehen. 

Zum Schluss unsere Lieblingsfrage: Wie siehst du das Ökosystem FrankfurtRheinMain, welche Entwicklungen beobachtest du?

Im starken Wirtschaftsraum Rhein-Main ist vor allem die Nähe zu anderen Klein-, Mittel- und Großunternehmen ein Vorteil. Auch die Startup-Szene ist mittlerweile immer besser vernetzt.  

Es gibt allerdings Nachholbedarf: Neben mehr Pre-Seed-Investitionen brauchen Gründerinnen und Gründer Zugang zum strukturierten Gründerwissen in Kombination mit individueller Unterstützung. Auch die Sicherung des Lebensunterhaltes ist nicht gewährleistet, solange man gründet – viele Arbeiten nebenher oder studieren und beziehen BaföG, wenn sie Zugang dazu haben. Das sollte sich langfristig ändern.

ChancenNutzer wählt zu Beginn jedes Monats neue Stipendiat*innen aus. Bewerben kann man sich unter chancennutzer.eu. Einfach Idee oder Unternehmenskonzept kurz vorstellen und im Kennenlerngespräch überzeugen. Wer sich vorab informieren will, hat dazu beim monatlichen Infoabend die Möglichkeit.

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