Was können Startups von der neuen Regierung erwarten?

Der Koalitionsvertrag ist geschmiedet, Olaf Scholz als Kanzler vereidigt und die neue Bundesregierung steht in den Startlöchern. Fest steht schon jetzt: Startups und Gründungen kommt eine viel stärkere Bedeutung als in vorherigen Regierungen zu. Auf was muss sich die Szene also einstellen? Prof. Simone Chlosta lehrt Wirtschaftspsychologie und Entrepreneurship an der FOM Hochschule in Frankfurt und ist Leiterin des KompetenzCentrums für Entrepreneurship & Mittelstand – sie erklärt uns, was die Startupwelt zu erwarten hat.

Simone, was war dein erster Gedanke, als du den Koalitionsvertrag gesehen hast?

Meine erste Reaktion fiel erstmal sehr positiv aus, weil ein breiter Begriff von Startups und Gründungen angewendet wurde. Außerdem ist die Sprache von einer „Kultur der zweiten Chancen“. Es gibt immer noch zu viele Menschen, die Angst haben, beim Scheitern stigmatisiert zu werden. Die Reaktionen von Interessenverbänden wie dem Digitalverband Bitkom, SEND und dem Bundesverband Deutsche Startups fielen übrigens auch recht positiv aus.

Was können wir anhand so eines Koalitionspapiers überhaupt Konkretes über die Vorhaben der Regierung erfahren?

Es geht erstmal darum, zu schauen, welche Begrifflichkeiten wie genannt werden. Damit meine ich, wer bekommt Sichtbarkeit, wer wird inkludiert? Begriffe wie soziales Unternehmertum und weibliche Gründungen wurden zum Beispiel herausgestellt, das ist ein gutes Zeichen in Richtung mehr Diversität in der deutschen Gründungslandschaft.

Ein Punkt in dem Papier ist, Gründerinnen zu fördern. Konkret soll das über ein nicht näher erläutertes Gründerinnenstipendium funktionieren. Was hältst Du davon?

Damit schlägt die neue Regierung eine sehr gute Richtung ein. Der Female Founders Monitor zeigt uns sehr klar, dass immer noch zu wenig Frauen gefördert werden und sie viel weniger Zugang zu Wagniskapital haben. Das bedingt sich zum Teil selbst in einer überwiegend männlichen Startup-Szene. Gleichzeitig brauchen wir mehr weibliche Investorinnen, damit auch mehr Frauen gefördert werden.

Warum profitieren Gründerinnen durch mehr weibliche Investorinnen?

Aus psychologischer Perspektive bedarf es mehr weiblicher Vorbilder, weil wir sehr viel durch Beobachten lernen. Wenn Frauen sehen, dass es andere Frauen gibt, die erfolgreich gegründet haben und später zum Beispiel Business Angels werden, dann sehen sie es als möglich an, das auch zu schaffen und trauen sich eine Gründung eher zu (im Vergleich zu hauptsächlich männlichen Vorbildern). Daher wäre es sehr zu begrüßen, wenn die neue Regierung neben der finanziellen Förderung auch Netzwerkveranstaltungen und Coachingprogramme speziell für Frauen unterstützen würde.

Ein weiterer Punkt des Koalitionsvertrages ist das Ziel, in 24 Stunden gründen zu können. Was hat es damit auf sich?

Das ist erst einmal ein total wichtiger Punkt, auch wenn die Idee der sogenannten One Stop Shops, also Orte, an denen man alles, was man zum Gründen braucht, auf einmal abarbeiten kann, nicht total neu ist. Ich hab ja selbst mal gegründet und kann sagen: Du bist genug mit deinem eigenen Produkt, der Entwicklung und der Kundenakquise beschäftigt, dass du froh bist, wenn du auf die zusätzliche Bürokratie und lange Wege verzichten kannst.

Du hast gerade schon angesprochen, dass auch das soziale Unternehmertum stärker in den Blick gerückt ist. Womit können Sozialstartups in Zukunft rechnen?

In bisherigen Förderprogrammen ist das Sozialunternehmertum nicht so stark vertreten, wie es wünschenswert wäre, und das wird sich jetzt hoffentlich ändern. Es ist gut, dass Sozialunternehmer:innen mehr Sichtbarkeit bekommen, denn es hat lange gedauert, bis verstanden wurde, dass soziale und ökologische Innovationen genauso wichtig sind wie beispielsweise Digitalthemen.

In Digitalthemen hat Deutschland sich bisher nicht besonders hervorgetan.

Das stimmt, generell sind wir im Bereich künstliche Intelligenz und Zukunftstechnologien leider etwas hinten an. Wir haben gute Forschung, aber hakt es beim Transfer in die Wirtschaft. Eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn hat gezeigt, dass lediglich 30% der Wissenschaftler:innen, die Innovationen vorgebracht haben, sich auch selbstständig machen.

Warum nicht? Damit ließe sich doch sicher gut Geld verdienen.

Es gibt zu wenig Anreize, aber auch zu wenig Kontakte in die Wirtschaft bzw. Marktkenntnisse für Gründungen aus der Hochschule. Oft sehen Akademiker:innen eine Ausgründung nicht als möglichen Karriereweg an und entscheiden sich für die vermeintlich sichere akademische Laufbahn. Die neue Regierung will diese Ausgründungen vorantreiben, sie spricht von einem Kulturwandel und der Schaffung von Science-Entrepreneurship-Initiativen. Viele Kolleg:innen sind gut im Wissenschaftlichen, sprechen aber nicht die Sprache der Praxis. Je früher  diese „Wissenschaftswelten“ zusammen mit Unternehmen und Startups gebracht werden, desto besser für beide Seiten.

Wie kann der Bund Startups und Gründungen überhaupt fördern?

Wir haben insgesamt eine sehr breit gefächerte Gründungsförderung in Deutschland, die sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Ich denke da zum Beispiel an das EXIST-Gründerstipendium, das ich auch selbst schon als Gründerin wahrnehmen durfte. Auf der Gründerplattform kann man sich beispielsweise gut über die vielen Angebote, bundesweit oder auf Bundeslandebene informieren. Aber es gibt auch einiges im Wagniskapitalbereich, wie z.B. den High-Tech Gründerfonds und den Zukunftsfonds.

Wenn wir schon gute Programme haben, was braucht es dann noch?

Es sollte vielmehr darum gehen, welche Gründungslandschaft wir in Deutschland fördern wollen. Und da sind wir wieder beim Anfang unseres Interviews: wer bekommt Sichtbarkeit, wer wird inkludiert? Deswegen ja zum Beispiel das Gründerinnenstipendium. Da liegt noch viel Potenzial, zum Beispiel auch in der Frage, wie wir migrantische Gründungen stärker fördern können. Ein Schritt wäre sicher eine Entbürokratisierung, wie sie in den One Stop Shops angepeilt wird. Wenn ein:e Gründer:in nicht perfekt Deutsch spricht, sollte das kein Problem sein, um ein Unternehmen in Deutschland zu gründen, in dem die Geschäftssprache ja eh oft Englisch ist. Außerdem brauchen wir Programme für Unternehmensnachfolgen, denn die werden bei Förderprogrammen bisher eher vernachlässigt. Daher freut es mich, dass es auch dieser Punkt in den Koalitionsvertrag geschafft hat.

Bei all dem Guten, das du siehst – was fehlt denn noch?

Für viele Interessenverbände war das Thema Mitarbeiterbeteiligungen in Startups wichtig, doch das ist etwas schwammig geblieben im Koalitionspapier. Dort ist nur die Sprache davon, dass die Ampel derlei Beteiligungen attraktiver gestalten will. Ein ganz anderer Punkt, der mir fehlt: die Grundbildung zu Entrepreneur-Themen in Schulen zu verbessern. Das Fach Wirtschaft gibt es bis heute nur in ein paar Bundesländern, und da auch zum Teil nur als Wahlpflichtfach. 

Welche Vorteile hätte es denn, Wirtschaft und Entrepreneurship in Schulen zu lehren?

Wenn wir eine stärkere Gründungskultur in Deutschland schaffen wollen, dann sollten wir damit früh und flächendeckend anfangen. Wenn wir schon Schüler:innen dafür sensibilisieren, was es heißt, ein Unternehmen zu gründen, eigene Ideen zu generieren, sich auszuprobieren, digitale Skills zu lernen und anzuwenden, dann stärkt das ihr Selbstbewusstsein und zeigt ihnen,  dass es mehr Perspektiven gibt, als nur das Angestelltenverhältnis. Wenn ich in einem geschützten Rahmen wie der Schule kreativ und innovativ sein kann, dann hat dieser Weg später nichts Überraschendes oder Beängstigendes mehr. Wir würden so eine nachhaltige und mutige Kultur des Unternehmertums schaffen.

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