In Zusammenarbeit mit AI Startup Rising | hessian.AI und EDITH stellen wir regelmäßig innovative KI-Startups aus Hessen vor. Als Basis dient die 2024 veröffentlichte und nach Branchen geclusterte „AI Startup Landscape Hessen“. In diesem Artikel richten wir den Fokus auf EdTech Startups aus dem Landscape-Cluster „Education & Sports“.
Die Digitalisierung des Bildungswesens in Deutschland ist ein zentrales Anliegen und stellt gleichzeitig eine enorme Herausforderung dar. Trotz zahlreicher Initiativen kämpfen Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen mit mangelnder digitaler Infrastruktur, hohem bürokratischen Aufwand und teilweise unzureichenden digitalen Kompetenzen. Hinzu kommen regulatorische Anforderungen im Rahmen des EU-Gesetzes zur künstlichen Intelligenz, dem EU AI Act. Dieser stuft KI-Systeme mit dem Risikofaktor „hoch“ ein, die in der allgemeinen oder beruflichen Bildung zur Anwendung kommen und dort beispielsweise zur Bewertung oder Überprüfung von Lernergebnissen, des Bildungsniveaus oder der Zulassung eingesetzt werden.
Wir haben mit den Gründern von drei hessischen Startups gesprochen, die mit ihren KI-Lösungen die Digitalisierung des Bildungswesens auf ganz unterschiedliche Weise vorantreiben: Digi Sapiens verbessert die Lese- und Sprachkompetenz von Schüler:innen, eduTecs optimiert die Prüfungsvorbereitung für Auszubildende und Mimir Mentor unterstützt Studierende beim wissenschaftlichen Schreiben.
Digi Sapiens: Mit KI die Lesekompetenz stärken
Digi Sapiens widmet sich der Förderung von Lese- und Sprachkompetenzen mithilfe von KI und Sprachtechnologie. Gründer Daniel Iglesias war die Bildungsaufstiegsförderung schon immer ein Anliegen: „Ich habe mich gefragt, warum sich so viele junge Menschen, besonders mit Migrationshintergrund, mit dem Bildungsaufstieg schwertun, obwohl die Voraussetzungen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern durchaus gegeben sind. Ich habe daraufhin viel recherchiert und festgestellt, dass mangelnde Lese- und Sprachfähigkeiten zu den größten Aufstiegshemmnissen gehören.“ Das Frankfurter Startup setzt genau hier an und kombiniert automatische Spracherkennung und -analyse mit spielerischen Elementen, um die Lese- und Sprachkompetenzen von Kindern im Grundschulalter bis zur 10. Klasse nachhaltig zu verbessern.
Der von Digi Sapiens entwickelte Lautlesetutor (LaLeTu), der den Anwender:innen über eine App zur Verfügung steht, analysiert das Leseverhalten beim Lautlesen und passt sich individuell an das Lerntempo und die Fähigkeiten der Schüler:innen an. So erhalten Lernende gezielte Unterstützung und können ihre Lesefähigkeiten effizient verbessern. „Kinder haben oft wenig Lust auf klassische Leseübungen. Unser System kombiniert das Lesen mit spielerischen Elementen. Wir wollen eine Umgebung schaffen, die das Lesen selbst in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig Spaß macht“, so Daniel. Dabei setzt Digi Sapiens bewusst auf eine ausgewogene Mischung aus spielerischen Anreizen und wissenschaftlich fundierten Lernmethoden. Nach jeder Leseeinheit erhalten die Lernenden beispielsweise Medaillen und positives Feedback, das über den reinen Leseerfolg hinaus geht und auch Faktoren wie die regelmäßige Anwendung oder Ausdauer honoriert.

Digi Sapiens arbeitet eng mit dem Ernst Klett Verlag zusammen, der die Schnittstelle zu den Schulen bzw. dem Lehrpersonal bildet. Der LaLeTu wird inzwischen an rund 1.500 Schulen eingesetzt. Die Lehrkräfte können die Lernfortschritte ihrer Schüler:innen verfolgen, Stärken und Schwachstellen identifizieren und die Kinder so individuell fördern. Zusätzlich befindet sich eine weitere Familien-App in Entwicklung, die Kinder von bekannten Videodiensten wegführen und ihnen eine gesunde Bildschirmzeit mit Büchern ermöglichen soll.
Bei der App, die von Kindern verwendet wird, legt Digi Sapiens nicht erst durch den EU AI Act ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung strenger Datenschutzrichtlinien und validierte Analysekriterien. Letztere basieren auf aktuellen Forschungsergebnissen und wurden in Kooperation mit verschiedenen Hochschulen entwickelt. Die verwendete Technologie nimmt keine subjektiven Bewertungen vor, sondern misst quantifizierbare Parameter wie korrekte Wörter pro Minute und stellt diese den Lehrkräften zur Verfügung. „Unsere App wird in den Schulen unterstützend eingesetzt. Die Beurteilung der Lernenden bleibt stets in den Händen der Lehrkräfte und beruht auf dem gesamten Unterricht“, betont Daniel. „Natürlich bedeuten die hohen regulatorischen Anforderungen des EU AI Acts gerade für kleinere Startups wie uns eine zusätzliche Belastung. Wie hoch diese sein wird oder wie diese für uns genau aussehen werden, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Aber wir sehen in den neuen Vorschriften primär eine Chance, denn klare Regelungen sind wichtig und schaffen Vertrauen, sowohl bei den Nutzer:innen als auch bei den Bildungseinrichtungen. Die Erfüllung der Anforderungen kann uns also letztlich zugutekommen.“
eduTECS: Prüfungsvorbereitung für Aus- und Weiterbildung per App
eduTECS hat sich zum Ziel gesetzt, die digitale Transformation in der beruflichen Ausbildung voranzutreiben. Das junge Startup-Team aus Fulda um Gründer Senouci Allam hat eine interaktive Lern-App für Auszubildende entwickelt, die auf interaktive Lernprozesse setzt und dafür sorgt, dass die Lerninhalte im Kopf bleiben.
Die Idee hinter der App namens eduTORIA entstand während der Coronapandemie: Senouci, der bereits vor der Pandemie als selbstständiger Ausbildungstrainer tätig war, erkannte in Zeiten des Lockdowns, dass der Ausbildungssektor dringend digitale Lösungen benötigte. „Ich wollte keinen Frontalunterricht mit endlosen Präsentations-Folien. eduTORIA setzt auf interaktive Inhalte, die Wissen auf spielerische Weise vermitteln“, erklärt Senouci. Mit Quizformaten und Erklärvideos werden komplexe Themen verständlich und eingängig aufbereitet. Die Effektivität der Lern-App konnte eduTECS bereits in einer Vergleichsstudie belegen: Azubis, die mit Hilfe von eduTORIA lernten, erzielten im Durchschnitt um 1,5 Notenstufen bessere Ergebnisse als die Vergleichsgruppe, die sich das Wissen analog aneignete.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die enge Zusammenarbeit mit den Ausbildungsunternehmen. Die App ist für alle Auszubildenden in Deutschland kostenfrei nutzbar. Sie wird von den Unternehmen finanziert, die ein Dashboard lizenzieren, über das sie ihre Azubis während der gesamten Ausbildung begleiten. Über das Dashboard können die Ausbilder:innen die Lernfortschritte ihrer Azubis monitoren, individuelle Stärken und Schwächen erkennen und dadurch gezielte Unterstützung anbieten. „Auf der einen Seite vermittelt eduTORIA den Azubis das Wissen effizienter als auf herkömmlichen Wegen, auf der anderen Seite können Unternehmen ihre Ausbildungsqualität mit unserer Lösung effektiv steigern“, so Senouci.
eduTECS sieht die Anforderungen des EU AI Acts im Bildungsbereich grundsätzlich positiv. „Der EU AI Act ist meiner Ansicht nach wichtig, da der Einsatz von KI in der Bildung – besonders im Bereich des Performance Measuring – tatsächlich mit großen Risiken verbunden ist. Wenn eine KI falsches Wissen vermittelt, kann das fatale Folgen haben. Wir haben uns daher bewusst für eine eigene KI-Lösung entschieden. Dazu arbeiten wir mit Experten aus unterschiedlichen Bildungsbereichen zusammen. Wir füttern sozusagen unsere eigene KI mit geprüftem Wissen, das sich an den Rahmenlehrplänen orientiert, um sicherzustellen, dass alle Inhalte validiert sind und keine Fehlinformationen weitergegeben werden. Ein weiterer Vorteil unserer eigenen KI-Lösung ist, dass wir einen Sprachstil entwickelt haben, der für jeden verständlich ist. Im Gegensatz zu anderen Lösungen umfasst unser Content nicht nur die Fragen mit den richtigen Antworten, sondern geht auch auf das „warum“ dahinter ein und bricht dieses „warum“ auf verständliche Art auf. Dazu nutzen wir beispielsweise Erklärvideos mit konkreten Stories aus dem Alltag.“
Ein weiteres Innovationsfeld, das derzeit bei eduTECS geprüft wird, ist der mögliche Einsatz von Virtual Reality-Tools. Das Unternehmen analysiert, inwiefern VR-gestützte Lernszenarien dazu beitragen können, praxisnahe Trainings in Berufen wie dem Handwerk oder der Pflege zu verbessern. „Ob stabile Seitenlage oder Arbeiten am Schaltschrank – VR könnte ermöglichen, realitätsnahe Trainingssituationen zu simulieren, ohne dabei echte Risiken einzugehen.“ Sollte sich dieses Konzept bewähren, könnte interaktives Lernen auf ein neues Level gehoben werden – mit Potenzial für einen echten Mehrwert im praxisorientierten Lernen.
Mimir Mentor: KI-gestützte Unterstützung beim wissenschaftlichen Schreiben
Mimir Mentor hat es sich zur Aufgabe gemacht, Studierende beim wissenschaftlichen Schreiben zu unterstützen. Dazu haben die Co-Gründer Robin Schmitt und Sven Tegethoff eine KI-gestützte Plattform entwickelt, die nicht nur Texte auf wissenschaftliche Ausdrucksweise überprüft und Rechtschreibkorrekturen liefert, sondern auch bei der Literaturrecherche und Plagiatsprüfung hilft. „Die Idee entstand während unseres Studiums an der Technischen Universität Darmstadt. Unser Ziel ist es, Studierenden eine digitale Lösung an die Hand zu geben, die ihnen hilft, die Herausforderungen des wissenschaftlichen Schreibens besser zu meistern“, erklärt Robin.
Mimir Mentor begleitet Studierende durch den gesamten Arbeitsprozess des Schreibens. Die Abgrenzung zum Ghostwriting ist dabei essenziell: „Unsere Plattform soll Studierende unterstützen, ohne ihnen die eigentliche akademische Arbeit abzunehmen. Die Textinhalte kommen von den Studierenden selbst und werden durch unsere KI nicht verändert. Zudem werden alle Änderungsvorschläge erklärt, was den Studierenden die Gelegenheit gibt, diese zu verstehen und sich selbst zu verbessern“, sagt Sven. Die Studierenden können aus jeweils drei konkreten Verbesserungsvorschlägen wählen. Das ermöglicht es ihnen, selbst weiterzudenken und ihren akademischen Schreibstil zu verbessern.
Was Mimir Mentor auszeichnet, ist die Kombination von Literaturrecherche, Korrektur und Plagiatsprüfung in einer einzigen Plattform. Sie vereint nicht nur mehrere Tools in einem, sondern macht den gesamten Prozess effizienter und intuitiver. „Wissenschaftliches Schreiben erfolgt nicht linear – erst die Recherche, dann das Schreiben, dann die Überprüfung. Gerade bei komplexeren Texten wie Doktorarbeiten funktioniert das nicht“, erklärt Sven. Die Studierenden können jederzeit zwischen den Bereichen wechseln – eine gefundene Quelle landet direkt im Literaturverzeichnis, ein Satz kann sofort korrigiert oder neu formuliert werden. „Dazu nutzen wir unterschiedliche Modelle, die wir selbst trainiert haben, in Kombination mit externen Modellen, die wir über private Schnittstellen anbinden. Inzwischen verfügen wir über einen recht großen Datensatz, den wir auf unserem eigenen Server hosten und über den auch die Anfragen bearbeitet werden“, ergänzt Robin, der die Auswirkungen des EU AI Acts auf das Startup aktuell prüfen lässt. „Wir können noch nicht sagen, ob Mimir Mentor in den Bereich fällt, der mit hohem oder moderatem Risiko eingestuft wird, und was das jeweils konkret für uns bedeutet.“ Sven betont: „Ganz unabhängig von den Anforderungen differenzieren wir uns bereits jetzt deutlich vom Ghostwriting. Zudem kommunizieren wir klar, dass wir eine reine Unterstützungsleistung anbieten und keine Garantien auf eine gute Note oder Plagiatsfreiheit geben können. Das ist allein deswegen nicht möglich, da jede Hochschule wissenschaftliche Arbeiten unterschiedlich bewertet.“
Fest steht: Durch seinen integrierten Ansatz hat sich Mimir Mentor zu einer der führenden KI-Plattformen zur Unterstützung wissenschaftlichen Schreibens im deutschsprachigen Raum etabliert. Doch darauf ruhen sich die jungen Gründer nicht aus. Das Feedback der Nutzenden ist für sie essenziell, um ihre Plattform weiterzuentwickeln: „Wir bieten eine kostenlose Testversion an und freuen uns über jedes Feedback und jede Interaktion, die uns hilft, unser Tool zu verbessern und es an die Bedürfnisse der Nutzenden anzupassen.“
KI als Gamechanger im Bildungsbereich
Mit der Entwicklung von KI-Technologien im Bildungsbereich bereiten hessische EdTech-Startups Lernende nicht nur auf die Anforderungen der digitalen Zukunft vor. Während klassische Bildungssysteme oft nach dem Gießkannenprinzip verfahren, ermöglichen sie neue Ansätze, auf individuelle Schwächen einzugehen, Stärken gezielt zu fördern und durch interaktive Lernerlebnisse nachhaltige Lerneffekte zu erzielen. Ein Thema, das dabei zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Regulierung von KI-Systemen durch den EU AI Act: Startups blicken mit gemischten Gefühlen auf die möglichen Auswirkungen, besonders, da diese aktuell noch nicht abschließend einzuschätzen sind, was zu Unsicherheiten führt. Einerseits sehen sie die Chance, klare Standards für Transparenz, Qualität und Datenschutz zu setzen und so bei Nutzer:innen, Kund:innen und Investoren Vertrauen in ihre KI-Lösungen zu schaffen. Andererseits besteht die Befürchtung, dass hohe bürokratische Anforderungen gerade junge Unternehmen im Bildungssektor in ihrer Innovationskraft ausbremsen.
Die drei vorgestellten Startups adressieren nicht nur verschiedene Bildungsbereiche, sondern auch ganz unterschiedliche Zielgruppen: Schüler:innen, Auszubildende und Studierende. Dennoch haben sie etwas Wesentliches gemeinsam: Sie ebnen den Weg für eine digitale Zukunft der Bildung, in der Lernen durch den Einsatz von innovativen Technologien nicht nur mehr Spaß macht, sondern auch zu besseren Ergebnissen führt – sei es durch spielerisches Lesenlernen mit dem Lautlesetutor LaLeTu, interaktive Prüfungsvorbereitung mit der eduToria-App oder ganzheitliche Unterstützung beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten mit Mimir Mentor.
Wer weitere hessische KI-Startups aus der Bildungsbranche kennenlernen möchte, findet in der AI Startup Landscape Hessen 2024 einen umfassenden Überblick.

Diese KI- Landkarte ist eine Initiative des Projekts AI Startup Rising von dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI) und wird in Zusammenarbeit mit bmh, Starthub Hessen/ HTAI, STATION, AI Hub Frankfurt RheinMain, TechQuartier, Highest, Start2, StartMiUp, Science Park Kassel, EXIST sowie EDITH (weiter-) entwickelt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.
Mehr dazu hier. Die Printansicht des Posters ist hier zum download verfügbar.
Über die Artikelreihe
Hier geht es zu weiteren Artikel aus der Artikelreihe „Hessens KI-Vorreiter“ und hier zu weiteren Artikeln mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz.
Die Artikelreihe „Hessens KI-Vorreiter“ zeigt, wie Startups mit KI-Innovationen frischen Wind in die verschiedensten Branchen bringen. Die Reihe orientiert sich am Branchencluster der AI Startup Landscape Hessen. Diese KI- Landkarte ist eine Initiative des Projekts AI Startup Rising von dem Hessischen Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI) und wird in Zusammenarbeit mit bmh, Starthub Hessen / HTAI, STATION, AI Hub FFM, Tech Quartier, Highest, Start2, StartMiUp, Science Park Kassel, EXIST sowie EDITH (weiter-) entwickelt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Ansprechperson und Co-Autorin des ersten Artikels: karin.gessler@hessian.ai, AI Startup Rising | hessian.ai