„One in Six“ – MentalStark-Gründerin Sally Schulze im Interview
MentalStark-Gründerin Sally Schulze. Foto: MentalStark.

Eines von sechs Paaren bleibt ungewollt kinderlos. Darüber gesprochen wird aber kaum, viele sind mit ihren Sorgen ganz alleine. Das merkte auch MentalStark-Gründerin Sally Schulze, während ihrer Tätigkeit am Perinatalzentrum der Uniklinik Frankfurt — und beschloss zu helfen. Dafür wurde sie jüngst mit dem Scienc4Life Venture Cup ausgezeichnet. Wie aus einem Ehrenamt ein Startup wurde und warum sich der Sexualunterricht in Deutschland dringen ändern muss, erfahrt ihr hier.

#OneInSix, unter diesem kurzen Hashtag versammelt sich in Sozialen Netzwerken eine ganze Community. Sie wünschen sich Nachwuchs, doch der Schwangerschaftstest will nicht positiv werden. Je nach Statistik schwankt die Zahl etwas. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt zehn Prozent an. Sally Schulze, Gründerin von MentalStark, spricht von 16 Prozent. Denen möchte sie mit ihrem Startup helfen. Das Konzept: Psychologische Betreuung und Unterstützung für ungewollt Kinderlose.

Sexualbildung oft Anti-Schwangerschaft

Für ungewollt Kinderlose gibt es of nur einen Ausweg: eine Behandlung in einem Kinderwunschzentrum. Doch die brauche Zeit, erzählt Schulze. Zeit, die manche nicht mehr hätten. Denn viele Menschen hätten eine falsche Vorstellung von Fruchtbarkeit. Sie wüssten nicht, dass die Chance — oder das Risiko — für eine Schwangerschaft nie 100 Prozent sei, auch ohne Verhütung. Für bessere Aufklärung zu sorgen sei vor allem Aufgabe der Schulen. „Bisher ist Sexualkunde eigentlich Anti-Schwangerschaftsunterricht“, sagt sie mit Nachdruck.

Entsprechend überrascht seien dann manche Paare, wenn es mit dem Baby einfach nicht klappt. Dann hilft die moderne Medizin, zum Beispiel mit einer künstlichen Befruchtung in einem Kinderwunschzentrum. Dort werden vor allem physische Schwierigkeiten behandelt. Doch wie steht es um die Psyche der Klienten? Als Psychologin hatte Schulze am Perinatalzentrum der Uniklinik Frankfurt erst die Risikoschwangeren- und die Babyintensivstation betreut. Dann kümmerte sie sich auch um die Ärzte der Kinderwunschabteilung, half ihnen mit ihren Klienten noch feinfühliger umzugehen. Schließlich baten auch die sie um Hilfe.

Von Ehrenamt zu Startup — MentalStark entwickelt sich weiter

„Für Patienten, denen es sehr schlecht geht, habe ich dann angefangen Telefonsprechstunden anzubieten“, erzählt Schulze. Viele hätten ihr Nummer schon länger in der Schublade gehabt, sie aber erst angerufen in einer Krise, zum Beispiel nach einer Fehlgeburt. Die Menschen seien oft zu streng mit sich, sagt Schulze. „Es hilft vielen zu wissen, dass sie bei mir in Ruhe ihre Gedanken ausbreiten können, und ich ihnen beim Einordnen helfe.“ Zunächst betreibt sie die Sprechstunde ehrenamtlich, doch die Nachfrage ist so groß, dass ihr klar wird: Es muss eine Lösung her. Eine, die mehr Menschen bedienen kann. Eine, die erst einmal mit Informationen versorgt und in besonders schwierigen Zeiten Beistand leistet.

„MentalStark ist ein Hybridangebot“, erklärt sie. Auf der Website werden zunächst Informationen und Tutorials angeboten. Zum Beispiel zu Fragen wie: Was mache ich wenn der Schwangerschaftstest negativ ist? Wie lange dauert es bis zur Einsetzung eines Embryos? Wie gehe ich damit um, wenn ich nach Kindern gefragt werde? So sollen sowohl medizinische Fragen, als auch der psychologische Aspekt behandelt werden. Gerade der Kontrollverlust sei oft beängstigend: „Die meisten Menschen kontrollieren alles in ihrem Leben. Und dann versagt das, bei etwas so Persönlichem wie dem Kinder bekommen.“ Da können verlässliche Informationen, die einen Überblick bieten, Klarheit schaffen. Eine offene Fragestunde hilft darüber hinaus weiter. Wer noch etwas mehr Beistand benötigt, kann über einen Button psychologische Hilfe anfordern.

Die psychologische Betreuung allein zu stemmen, wird auf Dauer nicht möglich sein, weiß Schulze. Sie möchte deswegen mit anderen Psychologen und Psychologinnen aus dem Beratungsnetzwerk Kinderwunsch zusammenarbeiten.

MentalStark-Finanzierung durch mehrere Kanäle

MentalStark finanziert sich durch mehrere Quellen. Kinderwunschzentren können Mitglied werden, und ihren Patienten so einen Zugang zum Onlineprogramm von MentalStark freischalten. Wer diesen Service nicht angeboten bekommt, soll sich in Zukunft gegen eine monatliche Nutzungsgebühr selbst registrieren können. Die psychologische Beratung bleibt aber vorerst eine Leistung, die jeder selbst schultern muss. „Wir arbeiten gerade an einer Erstattung der Leistung durch die Krankenkassen“, erklärt Schulze. So wolle MentalStark Menschen mit jedem Einkommen zur Verfügung stehen.

Eine andere Erstattungspolitik für Menschen mit Kinderwunsch sei allgemein wünschenswert, ist Schulze überzeugt: „Das wäre ein sehr wichtiges Signal!“ Denn bisher erstatten die Krankenkassen lediglich die Hälfte der Kosten der ersten drei Versuche. Wer es danach nochmal probiert, muss selbst dafür aufkommen. Noch härter trifft es Alleinstehende, gleichgeschlechtliche oder unverheiratete Paare: Sie bekommen nicht einmal die ersten drei Versuche erstattet.

„Was lädt Ihren Akku auf?“

Einen Ratschlag gibt Schulze fast allen Klienten. „Der Mensch funktioniert wie ein Akku“, erklärt sie, „und es ist wichtig, den immer wieder aufzuladen.“ Viele machten dann Yoga oder andere klassische Entspannungsübungen, doch die würden nicht jedem helfen. „Man muss sich fragen: Was sind meine Inseln im Alltag?“

Ein Tipp, der nicht nur Menschen mit Kinderwunsch hilft, sondern eigentlich jedem, vor allem in diesem Corona-Winter.

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