Clevere Design-Lösung für überhitzte Städte und Gebäude – Die beiden Gründerinnen von OMC°C, Carlotta Ludig und Nicola Stattmann, haben im Juli erfolgreich die ersten Prototypen Ihres neuen vertikale Begrünungssystem VERD° aufgebaut, und zwar in Frankfurt, hinter dem Senckenberg Museum. Bis Mitte Oktober sind die Pflanzensegel noch montiert.
Die Sommer werden immer heißer und besonders im urbanen Raum staut sich die Hitze. Effiziente und nachhaltige Abhilfe schafft nun das neue vertikale Begrünungssystem VERD° vom Frankfurter OFFICE FOR MICRO CLIMATE CULTIVATION, kurz OMC°C in Zusammenarbeit mit dem Designer Stefan Diez und zahlreichen weiteren Partnern. Die unkompliziert zu installierenden Module mit großflächigen Pflanzensegeln spenden Schatten und sorgen für die Abkühlung von Plätzen, Straßen und Innenhöfen oder dienen der Begrünung von Fassaden. VERD° verbessert das Mikroklima und bindet gleichzeitig CO2. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat Messstationen an den Anlagen installiert, um Temperatur, Feuchtigkeit und Windstärke in unterschiedlichen Höhen zu messen und so das Mikroklima um die Anlagen herum zu untersuchen. Die Stadt Frankfurt unterstützt das Projekt mit großem Engagement, insbesondere durch das Dezernat für Klima, Umwelt und Frauen und das Klimareferat. Der Prototyp im Hinterhof des Museums wurde zu 50% durch das Programm „Frankfurt frischt auf“ des Klimareferats gefördert. Im September letzten Jahres gewannen die beiden Gründerinnen den 3. Platz beim Frankfurter Gründerpreis 2022. Hier gehts zum Trailer. Im Mai 2023 berichteten wir über die erste SeedFinanzierung. Der offizielle Markteintritt ist für diesen Herbst geplant.
Die Funktionsweise
Schnellwachsende Kletterpflanzen ranken im Frühjahr an textilen Netzen, die in eine sturmsichere modulare Leichtbaukonstruktion gespannt sind, in die Höhe, um im Sommer ihren Dienst zu tun. Im Herbst, noch bevor die Blätter welken und fallen, werden Pflanzen und Netze demontiert und als Biomasse zum Beispiel in Energie umgewandelt. Das Besondere daran ist, dass das System nur minimal in die bestehende Infrastruktur eingreift und flexibel platziert werden kann.
Vielseitige Vorteile–für Mensch und Natur
Das Begrünungssystem VERD° ist konsequent ökologisch und eine praktikable, kostengünstige Lösung. Dank VERD° können städtische Räume effektiv begrünt werden, insbesondere auch Standorte, an denen beispielsweise aufgrund der hohen Bodenverdichtung keine Bäume gepflanzt werden können. Durch die vertikale Bepflanzung entsteht nicht nur wohltuender Schatten. Auch die Umgebungstemperatur kühlt herunter, Feinstaub wird reduziert, die Lärmbelastung gemindert und CO2 gespeichert. Zudem trägt VERD° positiv zur Biodiversität bei, da die in der Pflanzenkombination enthaltenen Nektarpflanzen eine Nahrungsquelle für Insekten und somit auch Vögel bieten. Als modulares Serienprodukt ist das System skalierbar und kann flexibel an unterschiedliche Einsatzorte und Nutzungsszenarien angepasst werden. Auf öffentlichen Plätzen oder Verkehrswegen können mithilfe der Module neue Räume geschaffen werden, die in den zunehmend heißen Sommermonaten zum Verweilen und Erholen einladen. Die Aufenthaltsqualität von Plätzen, Straßen oder ganzen Quartieren lässt sich auf diese Weise steigern und die Natur findet ihren Weg zurück an innerstädtische Orte, an denen ihr durch Bebauung oder Versiegelung der Lebensraum genommen worden war.
Die Konstruktion
Das VERD°System von OMC°C basiert auf unterschiedlichen, bis zu zehn Meter hohen Leichtbau Tragwerken aus Holz und Stahl, die mit eigens entwickelten textilen Ranknetzen aus Flachsgarn bespannt sind. Die frei stehende Variante verfügt über einen Betonsockel, der als Sitzfläche genutzt werden kann. Das VERD°-Modul mit kreisförmigem Sockel geht als Erstes in diesem Jahr in Serienproduktion. Kurze Lieferketten sind OMC°C hierbei besonders wichtig. Das gesamte System ist so konzipiert, dass es in seine Konstruktionselemente zerlegt und mit einfachen Mitteln an anderen Orten wieder aufgebaut werden kann. Ein zweites VERD°-Modul zur Fassadenbegrünung und Abkühlung von Gebäuden ist aktuell in Entwicklung. Dieses wird mittels Erdschrauben vor Bürogebäuden und Industriehallen im Boden verankert. Dabei sind sie bis auf einen Wasseranschluss autark. Ein maßgebliches Element des Systems sind zudem die von Stefan Diez entwickelten Pflanzgefäße, deren Einsatzhöhe variieren kann. Im städtischen Raum hängen die länglichen, wellenartig geformten Schalen, welche aus recyceltem Kunststoff bestehen und mittels 3D-Drucker produziert werden, auf drei Meter Höhe. Je nach Art und Ort der Anlage können diese Schalen auch auf anderen Höhen befestigt werden.
Die Bepflanzung
Im Frühjahr werden die Pflanzgefäße mit torffreiem Substrat sowie ausgewählten Samen und Setzlingen schnellwachsender Kletterpflanzen in Bioland-Qualität befüllt. Dies gehört ebenso wie das Bespannen mit den biologisch abbaubaren Ranknetzen aus Flachs – jedes Jahr wieder – zum VERD°Service, den OMC°C mitanbietet. Zur Auswahl stehen Pflanzenarten mit unterschiedlichen Eigenschaften: Die einen wachsen schnell in die Höhe, andere bilden buschiges Grün aus. Einige blühen in besonders schönen Farben, andere wirken durch ihren Duft oder die Grüntöne der Blätter. Je nach Standort und Nutzungsszenario lassen sich geeignete Arten kombinieren, um über die Verschattung hinaus auch ästhetische Effekte zu erzielen. Die Kombination verschiedener Arten reduziert zudem die Anfälligkeit für Krankheiten. Die individuelle Auswahl der optimalen Pflanzenkombination ist Teil des von OMC°C begleiteten Planungsprozesses vor der Installation des Systems. Die Verwendung von schnellwachsenden Kletterpflanzen in Kombination mit der saisonalen Bewirtschaftung bietet vielfältige Vorteile: Die überwiegend einjährigen Pflanzen benötigen vergleichsweise wenig Wurzelraum und es kommt nicht zur Verholzung wie bei mehrjährigen Pflanzen. Aufgrund der „Ernte“ im Herbst entfallen die Aufwände für Rückschnitt und Laubbeseitigung. Schließlich gelangt die schattenspendende Biomasse als neuer Rohstoff zurück in den Kreislauf. Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser erfolgt während der Wachstumsphase über ein automatisiertes Bewässerungssystem, welches z.B. an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen werden kann.
Eine Idee – viele Köpfe
Es ist noch keine zweieinhalb Jahre her, da begannen die beiden Produktdesignerinnen Nicola Stattmann und Carlotta Ludig mit der Umsetzung ihres ambitionierten Projekts. „Hitzeinseln, Klimaresilienz, Schatten, Stadtgrün, Mikroklima… das sind Themen, die uns im Sommer täglich beschäftigen. Uns war klar: Irgendwie müssen die Plätze schattiger und kühler werden. Dann gingen Recherche und Analyse los. Nach und nach fügte sich alles und wir hatten mit VERD° eine konsequente und ziemlich radikale Lösung auf dem Tisch“, erinnert sich Carlotta Ludig. Die beiden gründeten das in Frankfurt ansässige OFFICE FOR MICRO CLIMATE CULTIVATION. „Der überwältigende Zuspruch, den wir seit dem Teilen der ersten Idee von allen Seiten erfahren haben, hat uns gezeigt, dass es richtig ist, mutig zu sein“, so OMC°C-Mitgründerin Nicola Stattmann.
Und so zögerten die beiden Gründerinnen nicht lange, sondern holten sich Partner und Partnerinnen mit viel Expertise ins Boot. Malte Just von Just Architekten war von Beginn an ein wichtiger Sparringspartner, wenn es um die Schnittstellen zu Städtebau und Architektur ging und unterstützte maßgeblich den Bau der ersten Forschungsanlagen. Für die ausgefeilte Statik der Konstruktion konnte das renommierte Ingenieurbüro Bollinger+Grohmann aus Frankfurt gewonnen werden. Bei der Produktion unterstützt seit dem ersten Tag die Wurst Stahlbau GmbH, einer der führenden Stahlbauer Deutschlands. Dieter Gaißmayer, leidenschaftlicher Pflanzenkenner und Gründer der gleichnamigen Bioland-Gärtnerei sowie der Stiftung Gartenkultur in Illertissen, zeichnet für die Recherche der passenden Rankpflanzen verantwortlich und kultiviert die verwendeten Setzlinge und Samen. Bei der Entwicklung der mechanischen Details der Anlagen unterstützte Designer Stefan Diez mit seinem Team von Diez Office aus München.
Weitere Beiträge
Hier kommt ihr zu allen Beiträgen, die wir bereits über OMC°C veröffentlicht haben! Auch interessant: Die FAZ hat einen Artikel über das nachhaltige Startup veröffentlicht, hier könnt ihr den Beitrag lesen!