Von München nach Frankfurt – für ein Deeptech-Startup ein ungewöhnlicher, aber strategischer Schritt. Creativate hat sich bewusst gegen den klassischen KI-Standort und für Frankfurt/Rhein-Main entschieden: für Nähe zum Mittelstand, zum Finanzplatz und zu realen Entscheidungsprozessen statt reinem Labordenken. In Hessen entwickelt das Team seine Entscheidungsplattform cNode dort weiter, wo Regulierung, Anwendung und Skalierung zusammenkommen. Warum der Standortwechsel zentral für ihre Vision von auditierbarer Entscheidungs-KI ist und welche Partner das Unternehmen bereits begleiten, erklärt Gründer Leonardo Bornhäußer im Interview.
Was macht Creativate? Und was macht euch zum Deeptech-Startup vs. klassische KI-Implementierung? Welches Geschäftsmodell steckt langfristig hinter der NEN-Methode und cNode?
Für viele deutsche Unternehmen geht es gerade um viel – wenn nicht sogar um alles.
Es geht darum, heute die Weichen für echte Zukunftsfähigkeit zu stellen, dafür, dass das Geschäftsmodell auch in fünf bis zehn Jahren noch trägt.
Aber: Wie entscheidet man als Geschäftsführer:in, CFO oder CPO, welche Strategie verfolgt werden soll? Daten haben Sie ohne Ende – Excel-Dateien, Reports, BI-Dashboards. Aber warum entscheiden wir uns für Option A und nicht B – und wie erklären wir das unseren Stakeholdern, und wie kann sie zudem so dokumentiert werden, dass Geschäftsführung, Geldgeber:innen oder Aufsicht sie später verstehen und nachvollziehen können?
Problem 1: Die meisten Entscheidungen werden HEUTE nach Bauchgefühl getroffen – auf Basis von kleinen Ausschnitten der eigentlich verfügbaren Informationen (im Unternehmen, im Ökosystem, „da draußen“, strukturiert und unstrukturiert).
Schon vor Jahrzehnten hieß es: „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.“ Genau das trifft den Punkt:
Entscheider:innen sind Stand heute oft nicht einmal im Ansatz befähigt, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Problem 2: Unser größtes Learning aus dem letzten Jahr enger Zusammenarbeit:
Die meisten Unternehmen – vor allem der Mittelstand – sind bei weitem noch nicht bereit, um Entscheidungs-KI sinnvoll einzusetzen. Wer in dieser Situation einfach ein KI-Tool „draufwirft“, egal wie mächtig es ist, erzeugt am Ende nur „Shit in, Shit out“ – und ganz sicher keinen nachhaltigen Mehrwert.
Genau hier setzen wir an. Unser Produkt ist ein KI-Instrumentarium für fundierte, auditierbare und dokumentierte Entscheidungen. Unser Ansatz ist ein Studio-Ansatz, den wir Creativate AI Studio nennen.
Schritt 1: Wir starten direkt beim und am Kunden. Mit unserem AI Playbook schaffen wir die nötige Readiness und bauen damit die Grundlage um echte Entscheidungs-KI überhaupt sinnvoll einsetzen zu können.
Schritt 2: Darauf aufbauend kommt cNode, unser Entscheidungs-Cockpit.
Sie können sich cNode wie ein Unternehmensnetzwerk vorstellen: Bereiche, Programme, Kundengruppen und Produkte sind als Knoten miteinander verbunden. Statt Datensilos bekommt man eine vernetzte Entscheidungsansicht, die zeigt, wie alles zusammenhängt. Auf Knopfdruck kann man „Was-wäre-wenn“-Szenarien durchspielen. Wir bauen ein verlässliches Betriebssystem für Entscheidungen, das Daten, Prozesse und Menschen in einem Netz verbindet. Und: Wir richten das konsequent auf den europäischen Mittelstand aus – mit EU-Hosting sowie DSGVO- und AI-Act-Konformität von Anfang an. Das wirkt wie eine Glaskugel auf Knopfdruck, ist aber nachvollziehbar, dokumentiert und prüfbar – mit klaren Zielen wie weniger Prognosefehlern und deutlich schnelleren Planungszyklen.
Zur Technik: Unter der Haube ist cNode echtes Deeptech: Wir nutzen eine eigene Neural Enterprise Network (NEN)-Architektur, die das Unternehmen als vernetztes System abbildet. Darauf laufen eigene Machine Learning Modelle aus Forschungsprojekten mit Prof. Tuna Çakar, ergänzt um bewährte Open-Source-Modelle. In unseren Tests liefern sie stabilere und besser erklärbare Prognosen als allgemeine LLMs wie ChatGPT oder Gemini – Nutzer:innen merken davon nur: die Entscheidungen werden klarer, nicht komplizierter.
Wer steckt hinter Creativate?
Creativate ist aus einem alltäglichen Schmerz entstanden: Überall gibt es KPIs und Reports, aber welches Wissen wirklich im Unternehmen versteckt liegt und welche zusätzlichen Information im Rest der Welt ist ein Mysterium – die wirklich wichtigen Entscheidungen fühlen sich trotzdem unsicher an.
Ich (Leonardo Bornhäußer) habe das in verschiedenen Rollen über Jahre erlebt – als Unternehmer, als Berater und als jemand, der mehrfach vor Investor:innen und Gremien erklären musste, warum wir uns für Strategie A und nicht B entschieden haben. Daraus ist die Idee entstanden, eine Schicht zwischen Daten, Modellen und Entscheidung zu bauen.
Dafür habe ich mir bewusst ein Team zusammengesucht, das Finance, Recht, Deeptech und Ökosystem verbindet:
- – Lisa Bennewitz (CFO & Co-Founder) bringt die Sicht von Investor:innen, Förderlogiken und Aufsichtsgremien ein (u.a. im Umfeld von BAND e.V.). Sie sorgt dafür, dass unser Modell auch finanz- und governance-seitig solide aufgebaut und langfristig tragfähig ist.
- – Stella Manga Chesnay (CGO & Co-Founder) ist Rechtsanwältin mit Fokus auf DSGVO und EU-AI-Regulierung. Sie denkt Governance nicht „hinterher“, sondern von Anfang an in unsere Architektur hinein.
- – Faizan Khan (CTO Data & Engineering) verantwortet die NEN-Architektur, die Datenplattform und die Modellbibliothek, inklusive Benchmarking gegen LLM-basierte Ansätze.
- – Dennis Winter (CTO Advisory) – MD/CTO bei Börse Stuttgart Digital, ex-CTO bei Solaris – bringt die Erfahrung mit, wie man so eine Plattform robust, sicher und regulierungskonform in Produktion bringt.
Unser Advisory ergänzt diese Perspektiven:
- – Prof. Dr. Tuna Çakar für AI R&D und Forschungstransfer,
- – Merlin Yamssi für Agentic AI & Systemdesign,
- – Marina Heimann für Strategie & Mittelstand,
- – Laurent Kaczmarek und Ayuk Etta für unseren späteren Africa-GTM.
Wir sind ein sehr diverses Team, das eine große Bandbreite an Kompetenzen, Erfahrungen und Netzwerk einbringt und so Steuerung, Regulierung und Technologie holistisch gemeinsam denken kann.
Warum Frankfurt/Rhein-Main – und welche Partner habt ihr?
Wir haben uns bewusst entschieden München zu verlassen und Frankfurt/Rhein-Main zu unserem strategischen Referenzfeld zu machen. Hier treffen sich Finanzplatz, Mittelstand, Startups und ein sehr Technologie-affines Land Hessen, das KI- und Transformationsprojekte nicht nur diskutiert, sondern gezielt fördert.
Für uns ist Hessen eine Art „lebendes Steuerungslabor“:
- – Mit einem Startup- und Technologiezentrum testen wir, wie junge Unternehmen ihre Runway- und Wachstumssteuerung professionalisieren – weg von groben Schätzungen hin zu Szenarien, die man vor Investor:innen vertreten kann.
- – Mit einer Gründungs- und Beratungsorganisation für Frauen entwickeln wir Entscheidungsunterstützung für Gründerinnen und Unternehmerinnen, damit Finanz- und Preisthemen nicht nur „aus dem Bauch“, sondern tragfähig und erklärbar geplant werden.
- – Mit einem Anbieter von Steuerungs- und Berichtssystemen für Kommunen und Sparkassen arbeiten wir daran, cNode als eine Art „Magic Button“ für Finanzszenarien in bestehende Oberflächen zu integrieren – ohne dass Nutzer:innen ihre gewohnte Arbeitsumgebung verlassen müssen.
Darüber hinaus sind wir u.a.: im Futury Scale & Grow-Programm, im Grow-Programm des Pioneer Labs (Frankfurt UAS), Mitglied bei HIGHEST (TU Darmstadt) und bereiten mit der Hessen Agentur eine F&E-Förderung vor. Parallel arbeiten wir an der Bewerbung für den Hessian.AI Accelerator, um Forschung, Produkt und regionale Piloten noch enger zu verzahnen.
Kurz gesagt: Hessen ermöglicht uns, Forschung, Produktentwicklung und echte Anwendungsfälle im Mittelstand vor Ort zu verbinden – und genau diese Proofs sind die Basis für den späteren DACH- und EU-Rollout.
Wie verändert euer Baukasten die Skalierung von KI- und kann er Standard werden?
In vielen Organisationen sehe ich dasselbe Muster:
Neue Herausforderung, neues Projekt, neues Tool, neue Schnittstellen. Am Ende entsteht ein wildes Sammelsurium aus KI- und Datenprojekten – aber keine brauchbare, nachvollziehbare oder gar auditierbare Entscheidungslogik.
cNode dreht das um: weg von Einzellösungen, hin zu einem wiederverwendbaren Decision-Intelligence-Baukasten. Im Markteintritt fokussieren wir uns auf Finance & Sales/Marketing, weil dort die wichtigsten Steuerungsfragen liegen – Runway, Cashflow, Umsatzziele, Pipeline, Kampagnenwirkung. Die Module, die wir dafür bauen, sind aber so angelegt, dass sie:
- – sich auf weitere Felder übertragen lassen – z.B. HR/Capacity („Wie viele Leute können wir uns leisten?“), Programmportfolios, Standortentscheide, ESG & Wirkung,
- – und überall nach demselben Grundprinzip funktionieren:
Daten + Struktur + Annahmen + Prognosen & Simulationen + Dokumentation = eine nachvollziehbare Entscheidungsbasis.
Ein wichtiger Baustein ist unser Umgang mit Generative AI:
Wir trennen bewusst zwischen Rechenkern und Sprachschicht. Prognosen, Risiko und Szenarien kommen aus spezialisierten Modellen, die wir aus Forschung & R&D übernehmen und gegen LLM-basierte Ansätze benchmarken. LLMs wie ChatGPT oder Gemini nutzen wir dort, wo sie stark sind: beim Lesen von Dokumenten, bei der Erklärung von Ergebnissen und beim Interface. So entsteht eine Architektur, die die Stärken von LLMs nutzt, ohne die Steuerung an ein sprachstatistisches System abzugeben.
Wenn immer mehr Akteure – zuerst in Hessen, dann in DACH und Frankreich – auf demselben Baukasten aufsetzen, kann daraus ein de-facto-Standard entstehen, wie Steuerungsentscheidungen modelliert, simuliert und geprüft werden. Dass wir den Baukasten von Anfang an AI-Act- und DSGVO-konform entwickeln, ist dafür nicht „nice to have“, sondern Grundvoraussetzung.
Was sucht ihr? Welche Partner braucht ihr, um die NEN-Methode und cNode im echten Einsatz zu testen?
Wir suchen Partner, die zwei Dinge gemeinsam haben: Sie haben relevante Entscheidungen auf dem Tisch (Finance, Sales, darüber hinaus) und sie wollen in den nächsten 90 Tagen sichtbar besser steuern, nicht nur „mal KI ausprobieren“.
Konkret kann das z.B. sein: Mittelständische Unternehmen, die vor Weichenstellungen stehen – neue Märkte, neue Produkte, Investitionen, Personalaufbau – und merken, dass Excel-Varianten und Bauchgefühl dafür nicht mehr reichen. Startups und Hubs, die ihrem Portfolio ein Entscheidungs-Cockpit für Runway, Fokus und Wachstum geben wollen. Finanzakteure wie Banken, Sparkassen oder Spezialanbieter, die heute schon viele Daten und Reporting-Strukturen haben, aber eine aktive Steuerungsschicht mit Szenarien, Limits und dokumentierten Entscheidungswegen darüberlegen möchten.
Unser Rahmen sind 90-Tage-Loops:
- – Wir definieren gemeinsam 1–2 zentrale Steuerungsfragen.
- – Wir bringen Daten und Struktur in eine tragfähige Form.
- – Wir liefern einen Use Case, der messbar etwas verändert – z.B.
- – schnellere und klarere Entscheidungen,
- – verlässlichere Prognosen (inkl. Vergleich zu LLM-basierten Forecasts),
- – bessere Begründbarkeit gegenüber Gremien, Aufsicht oder Geldgeber:innen.
Parallel sind wir im Austausch mit potentiellen Investor:innen, die Interesse an einer Partnerschaft mit einem kapitaleffizienten Deeptech-Ansatz mit echtem Forschungstransfer, Pilotnachfrage und einem klaren Weg von Service-Umsätzen zu wiederkehrenden Plattform-Erlösen haben.
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